Würzburg (POW) „Jedes Jahr gehen wir diesen Weg mit Beklemmung und Trauer.“ Mit bewegenden Worten hat Dr. Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, an die erste Deportation von Juden aus Würzburg im Jahr 1941 erinnert. Gemeinsam mit weiteren Rednern warnte er am Donnerstagabend, 25. November, vor dem Wiedererstarken des Antisemitismus in Deutschland. Die Gedenkfeier unter Coronabeschränkungen begann in diesem Jahr am Bahnhofsplatz, in Sichtweite des „DenkOrts Deportationen“, der zentralen Gedenkstätte für die deportierten und ermordeten unterfränkischen Juden. Von dort zogen rund 100 Menschen mit Kerzen in den Händen durch die Innenstadt – über Kaiserstraße, Schönbornstraße und Domstraße – bis zum Rathaushof. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Gemeinschaft Sant’Egidio und der Israelitischen Kultusgemeinde.
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Vor 80 Jahren seien 202 Würzburger Juden bei Nacht und Kälte durch die Stadt getrieben worden, sagte Schuster. Sie wurden nach Schirotawa bei Riga gebracht. Nur 16 von ihnen überlebten. Doch die Verfolgung der Juden sei bereits 1938 sichtbar gewesen. „Sie wurden ihres Eigentums, ihrer Wohnungen und Häuser beraubt.“ Es seien keine Proteste von Seiten der deutschen Bevölkerung gegen diese Vorgänge bekannt. „Ich bin der Gemeinschaft Sant’Egidio dankbar, dass sie die Erinnerung an diese schrecklichen Ereignisse wachhält, und jedem Würzburger, der sich diesem Gang anschließt. Gerade jetzt, wo der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, bin ich dankbar, dass wir uns auf die Solidarität unserer Freunde verlassen können.“
In diesem Jahr beginne das Gedenken neben dem „DenkOrt Deportationen“ mit seinen Koffern und Bündeln. „Wenn ich hier vorbeikomme, werde ich an diese Menschen erinnert, die ohne jede Schuld aus ihrer Heimat herausgerissen, verschleppt, misshandelt und getötet wurden“, sagte Domkapitular Christoph Warmuth. In Unterfranken habe es einst 115 Synagogen gegeben. An vielen Orten werde wieder an diese Synagogen erinnert oder sie würden restauriert. Er sei froh über dieses neu gewachsene Bewusstsein der gemeinsamen Kultur und der Verantwortung füreinander, sagte Warmuth. Beeindruckt habe ihn Margot Friedländer, die das Konzentrationslager Theresienstadt überlebte und nun in Berlin ihren 100. Geburtstag feiern konnte. Bei allem Leid, das sie erfahren habe, zeige sie eine unglaublich große Zuwendung zu den Menschen. „Ich bin allen dankbar, die für unsere gemeinsame Kultur und unser gemeinsames Menschsein eintreten“, schloss der Domkapitular.
Wenn man an die Opfer dieser ersten Deportation denke, könne man den Weg „nur schweigend gehen“, sagte der evangelisch-lutherische Dekan Dr. Wenrich Slenczka. „Gespenstisch muss es gewesen sein in der Nacht, als über 200 jüdische Menschen durch unsere Straßen getrieben wurden. In der Nacht, weil es ein Verbrechen war und die Täter sich dessen bewusst waren.“ Die Menschen hätten weggesehen, aus Hass, Angst oder Gleichgültigkeit. „Wir müssen uns überlegen, wo wir stehen“, forderte Slenczka die Teilnehmenden auf. „Schauen wir weg, wenn Verbrechen an Menschen geschehen? Haben wir gelernt aus der Geschichte?“
„Es ist eine Schande, dass Jüdinnen und Juden heute wieder um ihr Leben fürchten müssen“, sagte Oberbürgermeister Christian Schuchardt. Im Jahr 2020 habe es 57 Gewalttaten gegen Juden und jüdische Einrichtungen gegeben mit 29 Verletzten. Der Antisemitismus trete „immer unverschämter“ öffentlich in Erscheinung und erhalte Auftrieb durch die Coronapandemie. Verschwörungstheoretiker zögen „absolut unerträgliche“ Vergleiche zwischen den Coronamaßnahmen und der NS-Rassenpolitik. Die Stadt Würzburg werde alles tun, um Versammlungen zu untersagen, bei denen Symbole verwendet werden, die an die gelben Sterne der NS-Zeit erinnern. „Lassen Sie uns gemeinsam einstehen für eine uneingeschränkte Achtung der Würde ausnahmslos aller Menschen. Lassen Sie uns eine offene, tolerante und friedliche Stadtgesellschaft verwirklichen. Unser Gedenken darf nicht folgenlos sein.“
„Wie ist es möglich, dass sich derart viele Menschen auf die Worte, Symbole, den Hass und die gewalttätigen Methoden der Nationalsozialisten beziehen?“, fragte Pfarrerin Angelika Wagner von der Gemeinschaft Sant’Egidio. Die Coronapandemie habe die Welt zerbrechlicher gemacht. Menschen würden mit gelben Sternen oder Punkten durch die Straßen laufen, auf denen „ungeimpft“ stehe, und von einer „jüdischen Weltverschwörung“ reden. „Manche sagen, es sind nur Worte, aber Worte schaffen eine Atmosphäre“, mahnte Wagner. Zugleich würden die Zeitzeugen der Shoah verschwinden. „Wir haben eine enorme Verantwortung gegenüber der Zukunft. Wir müssen die Erinnerung weitergeben“, forderte sie. „Wir wollen die Baumeister und Baumeisterinnen sein einer neuen Kultur des Zusammenlebens.“
Zum Abschluss sprach die Würzburger Gymnasiastin Mia-Lamia Husak. Im Geschichtsunterricht rufe das Thema Nationalsozialismus nicht immer Begeisterung hervor. „Doch es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen, die von den unvorstellbaren Grausamkeiten erzählen können, wie Hunderttausende Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden.“ Ihre eigenen Eltern hätten den Krieg in Bosnien miterlebt, erzählte Husak. Sie selbst sei in Frieden aufgewachsen: „Das sollte kein Privileg sein, sondern selbstverständlich.“ Die Gemeinschaft Sant’Egidio unterstütze Kinder, die aus Kriegsgebieten kommen. „Wir müssen uns ermutigen, gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Form von Diskriminierung aufzustehen. Wir sind gerufen, einander zu helfen, aus der Vergangenheit zu lernen und es in Zukunft besser zu machen“, erklärte sie. „Wie wollen nie mehr Ausgrenzung, nie mehr Gewalt und vor allem nie wieder Krieg.“
Hintergrund: Deportation der Würzburger Juden am 27. November 1941
Am 27. November 1941 wurde die erste größere Gruppe von Juden aus Würzburg deportiert. Seit dem 1. September 1941 war die Polizeiverordnung der nationalsozialistischen Behörden in Kraft, wonach Juden in der Öffentlichkeit mit einem Judenstern gekennzeichnet sein mussten. In Würzburg wurde ein Merkblatt bezüglich der „Evakuierung“ an die Betroffenen verteilt. Darin wurde ihnen mitgeteilt, dass ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmt ist und sie in einer Erklärung eine Aufstellung ihres Vermögens anzugeben hatten. Sie mussten sich mit Marschverpflegung ausrüsten, die für mindestens drei Wochen ausreichend sein sollte. Ein Transportkoffer mit maximal 50 Kilogramm Gewicht sollte zum Güterbahnhof Aumühle gebracht werden; Transportkosten von 60 Reichsmark waren zu zahlen. Die Nazibehörden zögerten nicht, Anweisungen zu geben, aus denen zu ahnen war, dass die Empfänger des „Merkblattes“ ihre Würzburger Heimat wohl nicht wiedersehen würden: Leitungen waren abzustellen, Gas- und Lichtrechnungen sollten bei den städtischen Werken bezahlt werden, die Wohnungsschlüssel mussten der Polizei übergeben werden. In der Stadthalle, die auch Schrannenhalle genannt wurde und am heutigen Kardinal-Faulhaber-Platz stand, hatten sich die 202 Männer, Frauen und Kinder einzufinden. Sie wurden genauestens durchsucht; jegliches Bargeld und Wertgegenstände wurden ihnen abgenommen. Dann wurden sie ins Sammellager Nürnberg-Langwasser und von dort nach Schirotawa bei Riga gebracht. Ihr weiteres Schicksal kann man nicht rekonstruieren. Es wird vermutet, dass sie Opfer der zwischen Februar und August 1942 in Riga durchgeführten Erschießungskommandos der Sicherheitspolizei wurden.
sti (POW)
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