Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder,
zu den Höhepunkten eines kirchlichen Jahres gehört zweifellos diese heilige Chrisammesse, in der die Öle für die Sakramentenspendung in unserem Bistum geweiht werden. Beginn und Ende eines menschlichen Lebens sind dabei genauso im Blick wie die lebensbestimmenden und lebensverwandelnden Weihen.
Katechumenenöl, Chrisam und Krankenöl verweisen aufgrund der hier vollzogenen Weihe auf den, der allein unser Leben geben, verändern und vollenden kann: auf Gott. Von daher sind alle Hilfen, die wir innerhalb unserer Kirche vermitteln dürfen, Werk Gottes. In den letzten Jahren haben wir einen starken Vertrauensverlust in unserer Kirche hinnehmen müssen. Die Gründe sind uns bekannt. Wir alle haben darunter gelitten und leiden noch. Die Frage, die sich daran anschließt ist doch, wie können wir diese Vertrauenskrise, die nicht nur die Kirche, sondern – wie auch die Euro-Krise in den Turbulenzen des Finanz- und Wirtschaftssektors gezeigt hat – die Gesellschaft erfasst hat, überwinden?
Vertrauen als menschlicher Grundvollzug ist wesentlich im Bereich der Ethik angesiedelt. Vertrauen baut sich auf oder wird zerstört zunächst zwischen Personen, dann aber auch in Systemen und Institutionen. Das im Menschen angelegte Urvertrauen entfaltet sich im Grundvertrauen, das erst eine Beziehung ermöglicht. Wird diese jedoch durch entsprechendes Fehlverhalten zerstört, setzt ein Vertrauensverlust ein, der – wie wir alle wissen – nur sehr schwer aufgearbeitet werden kann.
Es ist klar, dass die Kirche, die sich an ethisch-moralischen Grundsätzen orientiert, auch sich selbst zuallererst in ihren Gliedern dem Kriterium der moralischen Integrität stellen muss. Um Vertrauen wieder gewinnen zu können müssen wir Transparenz und Kommunikation pflegen.
Unser Herr hat dies umfassend getan. Auf die Frage: „Wo wohnst du?“ hat er geantwortet: „Komm und sieh!“ Ich sehe hierin auch einen entscheidenden Impuls für uns.
Es muss uns schon nachdenklich stimmen, wenn selbst ein eingefleischter Atheist wie Jean-Paul Sartre schreibt: „Wenn ein Gott für mich Mensch würde, für mich, dann würde ich ihn lieben – ihn ganz allein. Dann wären Bande zwischen ihm und mir, und für das Danken reichten alle Wege meines Lebens nicht. Ein Gott, der Mensch würde, gebildet aus unserem liebenswert elenden Fleisch – ein Gott, der erfahren wollte, wie der Salzgeschmack auf unserer Zunge schmeckt, wenn alles uns verlassen hat, ein Gott, der das Leid auf sich nähme, das ich heute leide – wenn Gott für mich Mensch würde, dann würde ich ihn lieben.“ (Zitiert nach Crumbach, K.-H., Wenn Gott Mensch würde…, in: Geist und Leben, 47, 1974, 401-404)
Wir glauben, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist und das getan hat, was Jean-Paul Sartre als Wunsch formuliert hat. Wieso glaubt Sartre diesem Evangelium nicht?
Hängt es damit zusammen, dass er Jesus als eine Fiktion, als vorgeschobenes irreales Ideal sieht? Suchte er ihn vergeblich in der Kirche?
Mit der Weihe der heiligen Öle zieht sich das Heilswirken Jesu in diese Stunde und an diesen Ort. Gott als der Ersthandelnde bleibt auch der Heilbringer. Was wir in seinem Namen, seinem Auftrag und in seiner Kraft in unserem Leben und in der Sakramentenspendung tun dürfen, verlangt aber auch unseren ungeteilten Dienst und unser transparentes glaubwürdiges Zeugnis.
Auch die Menschen unserer Zeit wollen Jesus begegnen. Die Sehnsucht nach Gott ist – wie immer wieder Umfragen belegen – keineswegs verschüttet oder begraben. Aber die Begegnung mit Jesus sucht sich einen Weg über die Berührung mit uns. Unsere Zeugenschaft ist – trotz aller menschlichen Schwäche und trotz aller Grenzen – mit entscheidend für eine gelingende Freundschaft mit Jesus.
Als Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth in der Synagoge den eben gehörten Jesajatext vorlas, konnte er bestätigen, dass sich in ihm das Schriftwort erfüllt habe, weil auf ihm, dem Gesalbten Gottes, Gottes Geist ruhe. Und die Konsequenzen: den Armen wird durch ihn die frohe Botschaft gebracht, die zerbrochenen Herzen werden geheilt, die Gefangenen befreit und die Trauernden getröstet.
Heute vor sieben Jahren ist der selige Papst Johannes-Paul II. gestorben. Sein Lebenszeugnis hat viele Menschen überzeugt und zum Glauben gebracht. Ich lese nur einige wenige Sätze aus dem Kondolenzbuch vor, das in unserem Dom ausgelegen hatte:
„Du warst der Papst meiner Kindheit. Ich bin froh, dass Du es warst. Bitte für uns. Wir sind froh und auch traurig, dass Du jetzt heimgegangen bist.
In großer Trauer danken wir dafür, dass es dich gab, und danken für die vielen wunderbaren Dinge, die du für Europa und die ganze Welt getan hast.
Danke, dass es Dich gab. Möge Gott der Herr es Dir ewig lohnen und die Welt Dir dankbar für Deine Güte sein.
Hoffnung, Licht und neuen Glauben, dies war sein Wirken.“
Auch wir sind Gesalbte und Gesandte Gottes. Auch durch uns will Gott dem jetzigen Menschen nahe kommen. Die Heilswege vertraut er uns an. Sind auch wir ganz von Gottes Liebe zum Menschen entflammt, so dass unsere Verkündigung die wahrhaft Armen erreicht, die zerbrochenen Herzen heilt, die Geknechteten befreit und die Trauernden tröstet?
Gibt es einen größeren Auftrag und ein machtvolleres Wirken, das Gott je Menschen anvertraut hat, als das hiesige? Unsere Begrenztheit und Schwachheit braucht uns nicht zu ängstigen. Gott gebraucht das Schwache, damit seine Stärke darin zum Tragen komme. Amen.