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Wohnen Gottes bei den Menschen

Predigt von Weihbischof Helmut Bauer am 1. Juli 2006 anlässlich des 80. Jubiläums der Kirche Sankt Ulrich in Rettersheim

Liebe Gemeinde Rettersheim!

„Erinnerung ist die Dankbarkeit des Herzens“, so sagt ein Sprichwort. Darum sind Erinnungstage im Leben der Kirche – der Gesamtkirche wie der Ortskirche – geprägt von Dankbarkeit in der Rückschau (mit der Erinnerung, die im Jubiläum einer Gemeinde gefeiert wird, schwingt die Dankbarkeit mit für das Gotteshaus hier am Ort). Zugleich aber sind für uns Christen erinnerungswürdige Tage und Ereignisse Gelegenheit, uns zu vergewissern, ob wir nach Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten noch in der Geisteshaltung derer leben, die uns Grund gegeben haben, zu feiern. Und in dankbarer Erinnerung besinnen wir uns, dass auch wir im Fluss der Zeit stehen und für die Zukunft, für kommende Generationen Verantwortung tragen.

Euere Gemeinde erinnert sich also dankbar an den Weihetag Euerer Sankt Ulrichs-Kirche vor 80 Jahren. Dieses Jubiläum ruft uns ins Gedächtnis zurück, was wohl der Grund war, dieses Gotteshaus zu bauen, zu weihen. Man darf sicher festhalten: Euere Vorfahren, Eltern- und Großeltern-Generationen, wollten mit ihrer Kirche das Haus Gottes inmitten dieses Dorfes haben. Sie bekundeten mit diesem Weihetag, dass es ihnen wichtig war, Gott gleichsam als Mitbürger und Zeitgenosse unter sich zu haben. Wir wissen, dass Gott kein Haus braucht, keinen Tempel. Ja, die ganze Welt kann ihn nicht fassen. Aber gerade dieser unfassbare, über aller Welt und Himmel wohnende Gott hat sich selber ein Haus gebaut. Denn zum Grundbestand unseres christlichen Credos gehört der Satz: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Das eigentliche Gotteshaus, in dem Gott in ganzer Fülle und Liebe in Raum und Zeit gegenwärtig war und ist, ist Jesus Christus, der Sohn der Jungfrau Maria. Für diese Urtatsache des christlichen Glaubens steht jede Kirche, ein Gotteshaus, ein Dom, eine Kathedrale: Gott wohnt hier, weil er in Jesus Christus unter uns war und bleibt bis zur Vollendung der Welt. Darum ist ein Gotteshaus, eine Kirche, nicht bloß ein Versammlungsraum, sondern wirklich ein reales Wohnen Gottes bei uns, Haus an Haus, Straße an Straße. Die Weihe einer Kirche ist das Zeichen, dass dieses Haus ganz diesem Geheimnis dienen soll und es verkünden soll.

Darum muss aus der Erinnerung an den Weihetag der Kirche die Gemeinde wieder sensibilisiert werden für das Geheimnis dieses heiligen Ortes. Der große Komponist Anton Bruckner hat in einem tief frommen und zugleich einzigartig-musikalischen Chorsatz diese Würde eines Gotteshauses besungen: „Locus iste a deo factus est – dieser Ort ist von Gott gemacht“. Dies ist wahr, aber schier unbegreiflich. Doch unser Glaube erfasst die Wahrheit. Ziehen wir daraus die gläubige Konsequenz, Einstellung? Ich meine, man sollte wieder einmal bewusst die Kniebeuge machen, wenn man dieses Haus betritt oder verlässt. Man sollte auch einmal während der Woche persönlich den lieben Gott, Jesus im Sakrament aufsuchen, bei ihm verweilen. Wir sollten wenigstens am Tag des Herrn im Haus des Herrn sein und dem Gotteshaus seine tiefe Würde bekunden.

Wir erinnern uns natürlich gerade am Patronatstag dieser Kirche, am Sankt-Ulrichstag der Woche, an eine weitere wichtige Grundaussage dieser Kirche. Der Heilige, dem wir in besonderer Weise dieses Gotteshaus zugedacht haben, sagt uns: Das Haus Gottes aus Stein hat zwar seine eigene Würde und Heiligkeit, aber Gott will in geheiligten Menschenherzen wohnen. Das Menschenherz ist ein lebendiger Ort, in dem der Heilige Geist in einzigartiger Weise wohnen will. Daher ist Gott vor allem in der Welt gegenwärtig, wenn wir ihm in Glaube, Hoffnung und Liebe Raum geben in unserem Innern, in unseren Seelen. Meistens aber ist ein Gotteshaus ein Spiegel- und Abbild einer Gemeinde und der geistigen und seelischen Haltung der Menschen. Der heilige Ulrich kannte sicher keine barocke Kirche, er lebte sogar, bevor die gotischen und romanischen Kirchen entstanden sind. Aber Gott hatte in seinem Leben einen Ort. Sankt Ulrich, der große Bischof, gab Gott in seinem Lebensraum den vorrangigen Ort. Ja – wir Menschen können Gott einen Raum geben in uns. Wir können aber auch Gott aus unserem Leben, unserem Alltag aussperren. Wir können ihm wie einem alten Opa einen Altenteil einräumen oder ihn in unserer lebendigen Mitte haben. In unserer Familie und im persönlichen Leben kann Christus dazugehören wie ein rechtes Familienmitglied, er kann wie ein Freund der Familie behandelt werden. Der heilige Ulrich war ein Mensch, der mit Jesus lebte, der Jesus in sein Eigen aufgenommen hat. So konnte er auch sein verantwortungsvolles Leben gestalten und als Bischof gerade in der politischen Herausforderung seinen christlichen Auftrag erfüllen. Der selige Adolph Kolping sagte einmal: „In der Familie muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.“

Das heißt: Wir alle wirken mit unserem privaten, familiären Tun und Lassen hinein in die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Realitäten der Gegenwart und Zukunft. Der beste Nachweis, dass wir persönlich und familiär Gott, Christus, dem Heiligen Geist Wohnrecht in unserem Leben, in unserer Familie geben, ist das Gebet. Ein Mensch, der betet, eine Familie, die betet, gibt Gott eine familiäre und vertraute Nähe. Ulrich, der heilige Mann, kann uns wieder bewusst machen, dass wir zuerst unser eigenes Herz und unsere Familie zur Wohnstatt Gottes machen können und müssen. Denn auf die Dauer werden Gotteshäuser, Kirchen und Dome zerfallen, zerstört werden, wenn wir nicht unsere Familie zur Kirche im Kleinen machen, unser Herz zum Hause Gottes aus Fleisch.

Schließlich, liebe Rettersheimer, feiern wir die Erinnerung der Weihe dieser Kirche immer auch im großen Zusammenhang mit der Erinnerung an die Urkirche, an das grundlegende Geschehen im Leben der Kirche: das ist die Menschwerdung, das Sterben Jesu, seine Auferstehung und Geistsendung. Wir feiern die Eucharistie. Der besondere Ort der Gegenwart Gottes ist für uns katholische Christen die Weltkirche, also die Kirche Gottes, die im Wort und Sakrament Gottes Liebe gegenwärtig, greifbar und erfahrbar macht. „Ich glaube an die heilige katholische und apostolische Kirche ...“. „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen ...“, sagt der Herr zu Petrus, und so ist es. Jedes Gotteshaus erinnert uns, dass wir eine Teilkirche sind, eine Ortskirche mit dem Bischof verbunden. Der Bischof selber aber ist das Bindeglied zu einer heiligen katholischen Kirche, die die Welt umspannt. Gerade wir erleben ja, wie global die Kirche nicht nur ist, sondern von Anfang an war. Das Petrusamt macht sichtbar: Der Herr steht zu seinem Wort: Und die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht überwältigen. „Ich werde die Kirche vernichten“, soll der sogenannte Führer des „Dritten Reiches“ geschrieen haben, als die Priester 1937 einen Hirtenbrief des Papstes gegen den Nazi-Wahn verlesen haben. Wie oft wurde diese Kirche schon den in 2000 Jahren totgesagt? Immer wieder ist sie aus Verfolgung und Passionsstunden gestärkt hervor gegangen. Diese Kirche, für die unser Gotteshaus ein Symbol ist, diese Pfingstgemeinschaft seit 2000 Jahren, wird nicht getragen von den Menschen, vielmehr lebt sie vom Wirken des Heiligen Geistes. Und dies besonders in der Eucharistie, wie es Papst Johannes Paul II. als letzte große Botschaft hinterlassen hat. Diese Kirche, die eine heilige katholische Kirche, zeigt sich eben besonders in der heiligen Eucharistiefeier. Sie lobt mit einem Munde die Großtaten Gottes, weiß sich gehalten vom Geist Gottes in den Stürmen der Zeit, lässt sich immer wieder in die Welt, in neue Zeiträume hineinsenden. In und mit dieser Kirche wollen wir in die Zukunft gehen, weil sie die Zukunft in sich trägt.

Wir gehen also, wenn wir ins Gotteshaus gehen, in die Kirche, um bei Gott zu sein.

Und wir gehen aus der Kirche in unsere Zeit, in neue Zeiten, um aber auch bei den Menschen zu sein. Die Türme des Gotteshauses sind daher auch ein Zeichen, in die Welt zu schauen. Wir wollen die Kirche zwar im Dorf lassen, aber auch ein Gotteshaus will uns den nötigen Weitblick für den Himmel und die ganze Erde vermitteln.

Amen.

(3006/1092)