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Wohngemeinschaft mit individuellen Vereinbarungen

Warum Buchautor Heinz Henke eine Leidenschaft für so genannte Simultankirchen hat – Bundesweit 64 Gotteshäuser mit besonderer Nutzung durch Katholiken und Protestanten, im Bistum Würzburg vier

Würzburg (POW) Bundesweit gibt es 64 so genannte Simultankirchen. Was sich hinter dem Begriff verbirgt und wo sich vier davon im Bistum Würzburg finden, erklärt Heinz Henke, Autor des Buchs „Wohngemeinschaften unter deutschen Kirchendächern“, im folgenden Interview.

POW: Herr Henke, Sie haben mit ihrem Werk „Wohngemeinschaften unter deutschen Kirchendächern“ die erste vollständige Bestandsaufnahme deutscher Simultankirchen vorgelegt. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Heinz Henke: Ich habe als Kind mit meinen konfessionsverschiedenen Großmüttern in einer Großfamilie gelebt und lernte dabei das Leben der beiden Glaubensgemeinschaften kennen, was zum Teil auch zu familiären Zwistigkeiten führte. Konfirmiert wurde ich in der Unierten Evangelischen Kirche der Oberlausitz (Niederschlesische Restkirche um Görlitz, nun fusioniert mit Brandenburg). Jetzt erhält die Evangelisch-Lutherische Landeskirche von Sachsen meine Kirchensteuer. Als etwa Zehnjähriger erfuhr ich erstmals von der von meinem Wohnort etwa 50 Kilometer entfernten Simultankirche in Bautzen. Fortan war es mein Ziel, zu dieser besonderen Form der Nutzung von Gotteshäusern mehr zu erfahren. Es gelang mir aber erst vollständig, seitdem Deutschland nicht mehr geteilt ist und ich den (Un)-Ruhestand erlangte.

POW: Mit Ihrem erlernten Beruf steht Ihr Buch also in keinem direkten Zusammenhang.

Henke: Als evangelischer Laie habe ich in den Jahren der Recherchen in der „Universität des Lebens“ autodidaktisch manche Lektion in Jura, Historie und Theologie gelernt. Es sind Kenntnisse und Erkenntnisse, die meine Assistentin und Ehefrau sowie ich nicht missen möchten. Wir lernten Zusammenhänge verstehen, die uns sonst verschlossen geblieben wären. Meine Frau, studierte Textilingenieurin, war wissenschaftliche Bibliothekarin in einer technischen Fachbücherei. Ich studierte Elektrotechnik und erlangte später noch einen Abschluss im Bereich Chemie mit der Vertiefungsrichtung Werkstoffe. Während der letzten zehn Jahre meines Berufslebens war ich in einem Unternehmen des Philips-Konzerns örtlicher Beauftragter für Umweltschutz und Chemikaliensicherheit. Insofern war es also schon eine Portion Dreistigkeit oder Naivität, dass ich mich mit dieser Vorbildung an das Thema Simultankirchen wagte. Es störte mich seinerzeit, dass ich keine Literaturquellen fand, die meine Neugier befriedigten. Daher machte ich mich selbst auf den Weg der Erkundung. Später wurde von mir verlangt, ich solle doch einen „Reisebericht“ liefern.

POW: Der liegt nun vor. Eine wichtige Frage zum Verständnis: Wann genau spricht man von einer Simultankirche?

Henke: Das Wort Simultankirche ist ein Begriff des Staatskirchenrechtes. Diese Art der Kirchennutzung entstand und konnte nur zu der Zeit entstehen, als Staat und Kirche noch nicht getrennt waren. Es setzt immer eine obrigkeitliche Entscheidung durch den jeweiligen Landesherren oder örtlichen Kirchenschutzherrn voraus, dass eine Kirche von zwei oder mehreren Glaubensgemeinschaften fortan gemeinsam zu nutzen ist. Ökumenische Gemeindezentren oder andere neuere Formen der gemeinsamen Kirchennutzung erfüllen nicht die geltende Definition. Hier handelt es sich bei der festgelegten Mitbenutzung um eine privatrechtliche Vereinbarung von juristisch eigenständigen Körperschaften und es ist keine Veranlassung durch hoheitliche Tätigkeit. Es fehlt die öffentlich-rechtliche Widmung.

POW: Gibt es auch im Bistum Würzburg Simultankirchen?

Henke: Von den 64 deutschen Simultankirchen sind vier im Bistum Würzburg zu Hause: in Rabelsdorf (Dekanat Ebern), in Erlach (Dekanat Ochsenfurt), in Kaltensondheim (Dekanat Ochsenfurt) sowie in Schernau (Dekanat Kitzingen).

POW: Wie gestaltet sich die gemeinsame Nutzung in der Praxis? Wer entscheidet zum Beispiel an gemeinsamen Feiertagen, wer wann das Gotteshaus nutzen darf?

Henke: Dafür gibt es keine einheitlichen Regelungen. Jede Simultankirche hat in den Jahren ihrer Existenz individuelle Vereinbarungen entwickelt. Es gibt Gemeinden mit A- und B-Wochen, also alternierende Frühgottesdienste und Feiertagsregelungen. Andernorts verzichtet die evangelische Gemeinde an den Sonntagen mit Erstkommunionen oder Primiz auf ihre Benutzungsrechte, und am Konfirmationssonntag tut es der andere Simultaneumspartner. Es sind aber stets Langzeitordnungen, die angewendet werden. In 14 Simultankirchen sind unter einem Dach die Gottesdiensträume der Simultaneumspartner baulich so getrennt, dass dort die Gottesdienste zeitgleich möglich sind, ohne sich zu stören. Im Bistum Würzburg ist das nicht der Fall.

POW: Welche baulichen Lösungen gibt es in Simultankirchen für Elemente wie Tabernakel, Beichtstühle, Mariendarstellungen und Ähnliches, die den Protestanten eher fremd sind?

Henke: Auch hier gibt es keine einheitlichen Auffassungen. Nach mitunter zähem Ringen in den vergangenen Jahrhunderten toleriert man das besondere Mobiliar des anderen. Das schließt aber nicht aus, dass es zu verblüffenden Forderungen kommt. Als sich zum Beispiel die katholische Gemeinde in Kaltensondheim einen Volksaltar zulegte und ihn am Triumphbogen aufstellte, forderte die evangelische Gemeinde, dass er vor ihren Gottesdiensten seitwärts abzustellen ist, damit der Blick zum Hochaltar mit Tabernakel nicht verstellt sei. Es wurde dazu eine einvernehmliche Lösung gefunden. Der katholische Mesner muss ihn nach jedem Gebrauch vor dem Triumphbogen entfernen, damit während der evangelischen Gottesdienste der Blick auf den Hauptaltar im Chorraum nicht behindert wird. Ein eingebauter hydraulischer Kraftfahrzeugwagenheber erleichtert den Transport. Durch den Hydraulikhub werden unter dem Altar Räder ausgefahren, auf denen er vor den seitlichen Marienaltar gerollt wird.

POW: Welche Konfession trägt welchen Anteil an den Unterhaltungskosten einer Simultankirche?

Henke: Die Kosten des Betriebes und der Baulasten verteilen sich nach dem, was zwischen den Beteiligten vereinbart oder üblich ist. Meist trägt jeder Partner beziehungsweise Verursacher die Kosten nach seinem Anteil am Eigentum oder der anteiligen Nutzungszeit. Aber auch dabei gibt es ausgeprägte Ausgestaltungen: An zwei Simultaneen geben sich die Gemeinden, wo sie Alleineigentümer der Immobilie sind, mit einer nahezu symbolischen Pauschale zufrieden. Andernorts wird dagegen unter anderem akribisch der Energieverbrauch der Gemeinden über einen evangelischen und katholischen Elektro-Zähler erfasst und abgerechnet, je nachdem mit welchem Schlüssel der Verbrauch gestartet wird.

POW: Wird die jeweils andere Konfession bei einer Umgestaltung gehört, zum Beispiel als nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neue Zelebrationsaltäre installiert wurden?

Henke: Es gilt in allen Simultaneen der eherne Grundsatz: Kein Partner darf ohne Zustimmung des anderen Beteiligten von einem vereinbarten Brauch abweichen. Im Simultaneum sind daher einseitige Veränderungen untersagt.

POW: Sie haben alle Simultankirchen in Deutschland besucht. Welchen Eindruck haben Sie? Führt die gemeinsame Nutzung eines Gotteshauses zu einer größeren Ökumene oder erzeugt sie eher eine stärkere Konfessionalisierung?

Henke: Ziel der errichteten Simultaneen war es unter anderem, in bestimmten Konfliktlagen der Herstellung und Wahrung des interkonfessionellen Friedens zu dienen. Die vom Landesherren und seinen Behörden auferlegten Regelungen, Abgrenzungsbedürfnisse, die Machtausübung, mangelnde Toleranz und deren Folgen bestimmten weitgehend das komplizierte Schicksal dieser besonderen Gotteshäuser. Die getroffenen Festlegungen wirkten oft nicht im erhofften Sinne und waren mitunter Wurzel neuen Streites über rechtliche, vermeintliche und tatsächliche zu wahrende Besitzstände. Und weil heutigen Tages in der vorrangig materiell orientieren Welt Besitzstände im individuellem Bewusstsein fast immer als unantastbar gelten, hat meines Erachtens die Ökumene an Simultankirchen einen schwereren Stand als andernorts, wo die Besitztümer räumlich getrennt sind.

Zur Person:

Heinz Henke wurde 1944 in Tormersdorf geboren. Der Sohn eines Schuhmachers wuchs in Rothenburg-Oberlausitz auf und absolvierte eine Ausbildung zum Kraftfahrzeug-Elektriker. Anschließend studierte er Elektrotechnik und arbeitete bis 2000 als Ingenieur. Seit über 30 Jahren ist er Stadtführer in Bautzen.

Buch-Tipp:

Heinz Henke: Wohngemeinschaften unter deutschen Kirchendächern. Die simultanen Kirchenverhältnisse in Deutschland – eine Bestandsaufnahme. 239 Seiten. 13,95 Euro. Engelsdorfer Verlag 2008. ISBN 978-3-86703-932-1.

(4509/1271; E-Mail voraus)

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