Würzburg (POW) Am 12. Februar jährt sich der Geburtstag von Charles Darwin, dem Begründer der Evolutionstheorie, zum 200. Mal. 2009 sind es außerdem 150 Jahre, dass er sein Buch „Die Entstehung der Arten“ veröffentlichte. Im folgenden Gespräch erläutert Dr. Thomas Franz, promovierter Philosoph und Diplom-Theologe, wie das Verhältnis von Schöpfungsglaube und Evolutionslehre sich im Lauf der Zeit geändert hat und wie die kirchliche Position dazu heute aussieht.
POW: Die Bibel sagt, dass der Mensch und alle Geschöpfe innerhalb von sechs Tagen von Gott geschaffen wurden. Darwins Evolutionstheorie besagt, dass bei der Entstehung der Arten der Zufall, die Umwelt und die natürliche Auslese gewirkt haben. Provokant gefragt: Wer hat denn nun recht?
Dr. Thomas Franz: Aus heutiger theologischer Sicht muss man sagen: Das Erklären ist Sache der Naturwissenschaften, die Bibel deutet und bewertet Wirklichkeit. Von daher hat die Evolutionstheorie recht, wenn man eine Erklärung für die Entstehung der biologischen Artenvielfalt und auch des Menschen sucht. Das heißt aber nicht, dass die Sichtweise der Bibel auf Mensch und Welt nicht ihre Berechtigung hat.
POW: So versöhnt, wie Sie die beiden Auffassungen heute darstellen, waren sie noch nicht, als vor 200 Jahren Charles Darwin erstmals seine Evolutionstheorie veröffentlichte.
Franz: Im 19. Jahrhundert haben Darwins Texte das damalige kirchliche Welt- und vor allem Menschenbild erschüttert. Innerhalb der Naturwissenschaften war schnell klar, dass die Theorie zutreffend ist, wenngleich sich die Wissenschaftler durchaus noch über Details stritten. Das tun sie bis heute. Die Kirche hat damals die biblischen Texte noch wortwörtlich aufgefasst, deswegen waren Darwins Theorien ein massiver Angriff auf wesentliche Pfeiler des Schöpfungsglaubens. Das kirchliche Lehramt hat aber allerdings niemals offiziell die Evolutionstheorie verboten oder Darwins Bücher auf den Index gesetzt.
POW: Die Kirche sieht also nichts Verwerfliches in Darwins Theorien?
Franz: Seit Pius XII. kann man feststellen, dass sich der Gedanke der Evolution als ernst zu nehmender Hypothese in kirchlichen Dokumenten findet. Für mich ist das wichtigste Dokument in der grundsätzlichen Frage, wie sich Naturwissenschaft und Schöpfungsglaube zueinander verhalten, die Nummer 36 der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dort wird gesagt: Es gibt eine „richtige Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“. Kirchlich anerkannt wird, dass die Wissenschaften nach ihren eigenen Methoden und Gesetzmäßigkeiten forschen können. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass es keinen „echten Konflikt“ zwischen Glauben und Wissen gibt, weil für den Gläubigen beide ihren Ursprung in Gott haben.
POW: In den USA lehnen viele Christen, vor allem die Mitglieder evangelikaler Freikirchen, die Evolutionstheorie wegen des Schöpfungsglaubens ganz ab.
Franz: Die Situation in den englischsprachigen Welt ist durch einen äußerst polemischen Konflikt zwischen Anhängern der Evolutionstheorie und den Vertretern des sogenannten Kreationismus gekennzeichnet, der nicht neu ist. Man denke nur an den berühmten Affenprozess von 1925. Die Kreationisten halten die Aussagen der biblischen Schöpfungstexte für historisch zutreffende Wirklichkeitserkenntnis. Von wissenschaftlicher Seite gibt es zurzeit zwei bemerkenswerte Grenzüberschreitungen: Evolutionsbiologen wie etwa Richard Dawkins glauben aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse Religion als „Gotteswahn“ ausweisen zu können. Diesem „Neuen Atheismus“ konträr gegenüber stehen die Versuche des „Intelligent Design“, hinter der Evolution einen intelligenten, göttlichen Plan zu erkennen. Beide Versuche sind meines Erachtens unzulässige Grenzüberschreitungen der Naturwissenschaften in Richtung Religion.
POW: Für wirklich hartgesottene Kreationisten ist bereits die Theorie des „Intelligent Design“ Verrat am Glauben der Bibel. Sie beziehen sich auf eine Aussage der Amerikanischen Vereinigung der Biologielehrer, wonach Evolution ein unpersönlicher und ungelenkter Vorgang ist. Daher stehe jede Bezugnahme auf die Evolution im Widerspruch zum personalen Gott der Bibel.
Franz: Das Problem der Kreationisten ist, dass sie Glauben und Wissen vermischen. Der Schöpfungsglaube hat aber eine andere Dignität als die Evolutionstheorie. Wenn man den Exegeten folgt, geht es in den Bibeltexten um das zentrale Bekenntnis zu dem einen Gott. Die Billigungsformel in Gen 1 – „Gott sah, dass es gut war“ – verweist sprechend auf die Werthaftigkeit der Schöpfung; es geht nicht um kausale Erklärungen. Die Texte müssen als religiöse Texte in einem spezifisch kulturellen Kontext gelesen werden. Diese historisch-kritische Sicht auf die Bibel gehört zum lehramtlich bestätigten Methodenspektrum der Theologie. Wer aus offenbarungspositivistischer Sicht die Texte als Abbild der Wirklichkeit liest, handelt aus heutiger theologischer Sicht nicht mehr zulässig. Wenn wir die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Heiligen Schrift in der Offenbarungskonstitution ernst nehmen, dann können wir nicht mehr für den Kreationismus sein. Damit wird auch eine religiös motivierte Ablehnung der Evolution hinfällig, die die Kreationisten agitatorisch betreiben.
POW: Kann es eine versöhnte Position zwischen Schöpfungsglauben einerseits und Evolutionstheorie andererseits geben?
Franz: Eine einfache Synthese ohne Wahrung des Unterschieds kann es nicht geben. Weder hat die Naturwissenschaft das Recht, über religiöse Inhalte eine Aussage zu treffen, noch darf die Religion im Letzten Aussagen über wissenschaftliche Inhalte machen. Was die Naturwissenschaften erklären, ist eher von allgemeiner Bedeutung. Die Religion gibt Antworten auf die großen Sinn- und Wertfragen des Menschen. Das Faktum, dass die Gattung Mensch evolutionstheoretisch von den Primaten abstammt, sagt noch nichts darüber aus, wie der Einzelne seinem Leben Sinn und Wert gibt und die großen Fragen nach dem Geheimnis seiner Existenz beantwortet. Man kann sowohl darum wissen, dass die Schimpansen unsere biologisch nächsten Verwandten sind, als auch daran glauben, dass die Gottebenbildlichkeit uns als Personen eine unvergleichliche Würde zugesteht.
POW: War die Evolutionstheorie die erste massive Auseinandersetzung zwischen Kirche und Naturwissenschaft?
Franz: Die erste war die Diskussion um das heliozentrische Weltbild, die mit dem Namen Galileo Galilei verbunden ist. Vielleicht hat die Kirche daraus ein gutes Stück gelernt. Deswegen wurde Darwin auch nie von der Kirche so angegangen wie Galilei, der erst 1992 vom Vatikan rehabilitiert wurde. Die Evolutionstheorie fand 1996 durch Papst Johannes Paul II. sogar eine ausdrücklich positive Würdigung. Die Kirche hat offensichtlich aus den Konflikten mit den Naturwissenschaften gelernt. Kulturgeschichtlich betrachtet sind die Naturwissenschaften ja gerade im religiösen Kontext des Christentums entstanden, das die Differenz zwischen Schöpfer und Schöpfung ausdrücklich betont. Mit dieser Differenz wird es möglich, sich die Gesetzmäßigkeiten der Natur zu erschließen. Die religionskritische oder gar religionsfeindliche Abgrenzung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert hatten Wissenschaftler wie Galilei und Newton nicht im Sinn. Zumindest sollte das Andenken an Charles Darwin, der ja auch Theologe war, nicht dazu benutzt werden, diesen alten Konflikt wieder aufzuwärmen.
POW: Anders als Galileis Weltbild, bei dem sich die Erde um die Sonne dreht, steht die Evolutionstheorie aber im Widerspruch zum biblischen Text.
Franz: Dieser Widerspruch existiert nur, wenn man die Daten und Erläuterungen der biblischen Schöpfungstexte als Schilderung historischer Abläufe liest. Das tut heute kein ernst zu nehmender Theologe mehr. Betrachtet man sie als metaphorische Texte mit eigenem und anderem Wahrheitsanspruch als dem der Naturwissenschaften, dann gibt es hier keine Gegensätze. Naturwissenschaften machen hypothetische Aussagen über die Wirklichkeit, die experimentell zu bestätigen sind. Die biblischen Schöpfungsberichte wollen aber nicht empirisch überprüft werden, sondern fordern auch heute eine existentielles Bekenntnis, den Glauben. Evolution und Schöpfung sind zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Wirklichkeit, die sich letztlich aber nicht widersprechen.
Interview: Markus Hauck (POW)
Zur Person:
Dr. Thomas Franz (46) ist Diplom-Theologe und hat in Philosophie zum Thema Anthropologie promoviert. Von 2002 bis 2006 war er wissenschaftlicher Assistent bei Professor Dr. Elmar Klinger am Würzburger Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft, seitdem ist er Studienleiter bei „Theologie im Fernkurs“ an der Katholischen Akademie Domschule.
(0709/0189; E-Mail voraus)
Hinweis für Redaktionen: Foto abrufbar im Internet