Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Unruhige Herzen in unruhigen Zeiten

Wandeltheater „Du musst dran glauben – Luther, Echter und Gerolzhofen“ feiert Premiere – Kombination von Schauspiel und historischen Spielorten zieht Zuschauer in den Bann – Stehende Ovationen für grandiose Ensembleleistung

Gerolzhofen (POW) Mit stehenden Ovationen haben die 400 Besucher am Mittwochabend, 24. Mai, die Premiere des von Regisseurin Silvia Kirchhof inszenierten Wandeltheaters „Du musst dran glauben“ in Gerolzhofen (Landkreis Schweinfurt) gefeiert. Rund 70 Akteure im Alter von sechs bis 86 Jahren machten mit viel Charme, großer Spielfreude und beeindruckender Bühnenpräsenz an fünf Spielstätten die historische Altstadt zur Bühne und ließen – passend zum Untertitel „Luther, Echter und Gerolzhofen“ – die Zeit der Reformation, der Konfessionalisierung und der Hexenprozesse aufleben. Christine Weisner und Roman Rausch schufen auf Basis historischer Unterlagen die Textvorlage der Spielszenen. Diese sogen zudem durch die hochwertigen historischen Kostüme, die einheimische Mundart und die authentischen Aufführungsorte die Zuschauer förmlich ins Geschehen hinein.

Die viele Freizeit, die das bis auf zwei Personen aus Amateuren zusammengesetzte Ensemble in die Proben investiert hatte, hat sich mehr als ausgezahlt. Die Premierengäste waren begeistert von einem ergreifenden, erhellenden und unterhaltsamen Abend – und das nicht nur wegen des versöhnlichen Schlusses, zu dem alle vier Zuschauergruppen in den Spitalgarten zusammenkamen. Im Finale trafen – in einer schon allein aufgrund der Lebensdaten der beiden komplett fiktiven Szene – Martin Luther und Julius Echter aufeinander und erkannten, dass sie beide aus der Sorge um das Seelenheil jeweils vieles richtig, aber auch manches falsch gemacht hatten. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in Dir“, ein Zitat des Kirchenvaters Augustinus, ist aber ein Satz, auf den sich die beiden nach einem durchaus heftigen Wortgefecht am Ende gütlich einigen können.

Gespielt wurde das Wandeltheater in der Stadtpfarrkirche, der evangelischen Erlöserkirche, der Echter-Vogtei, dem von Julius Echter renovierten Spital sowie dem Spitalhof. Auf den Wegen zwischen den einzelnen Stationen wurden die vier Zuschauergruppen von Schauspielern mit inhaltlich einführenden Hintergründen versorgt. Unter den Ehrengästen waren unter anderem Weihbischof Ulrich Boom, Bundestagsabgeordnete Dr. Anja Weisgerber und Landtagsabgeordneter Dr. Otto Hünnerkopf.

In der Stadtpfarrkirche werden beim Wandeltheater die Missstände der alten Kirche um das Jahr 1520 deutlich: Ablasshandel und schlecht ausgebildete Seelsorger sorgen dafür, dass die Gläubigen unzufrieden sind. So beginnen auch in Gerolzhofen die Gedanken der Reformation Fuß zu fassen. Gut sechs Jahrzehnte später wird als Reaktion darauf in den Kirchenbüchern neben Taufen, Trauungen und Sterbefällen aufgezeichnet, wer an Ostern zu Beichte und Kommunion gegangen ist. Wer nicht in diesen Listen auftaucht, den treffen drastische Strafen: „Keine Glocken, keine Orgel und kein Gesang“, verfügt der Pfarrer als Strafe beim Begräbnis von Protestanten. Und Fürstbischof Julius Echter persönlich weist, wie ein anonymer Augenzeuge 1586 für die Nachwelt festhielt, 17 Protestanten und deren Familien aus Gerolzhofen hinaus.

Die Auswirkungen der Spitalstiftungen Echters stehen im Spital Sankt Vitus im Mittelpunkt: In Gerolzhofen renoviert er eine vorhandene Einrichtung und bringt, wo bislang nur wohlhabende „Herrenpfründner“ mit viel Eigenkapital eine Altersversorgung einkaufen konnten, nun auch kranke und alte mittellose Frauen und Männer unter dem gleichen Dach unter. Das sorgt für Konflikte. Letztlich erkennen die Bewohner, dass die milieuübergreifende Integration gelingen kann, wenn sich jeder mit seinen Talenten einbringt und barmherzig mit dem Gegenüber umgeht.

Das wohl düsterste Kapitel der Gerolzhöfer Stadtgeschichte wird in der Echter-Vogtei dargestellt: Ab 1616 werden unter der Regentschaft Echters rund 140 Frauen und Männer im Gerichtsbezirk (Zent) Gerolzhofen der Hexerei für schuldig befunden und auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Zentgraf Valentin Hausherr lässt alle Beschuldigten – entgegen der Vorgaben aus Würzburg – gleich im schlimmsten Grad foltern und Details ihrer vermeintlichen sexuellen Kontakte mit dem Teufel schildern. Mit gefälschten Akten voller fingierter Aussagen und Geständnisse erweckt er in Würzburg den Eindruck, ordentliche juristische Arbeit zu leisten. Das Treiben von Zentgraf Hausherr, der regelmäßig Eigentum seiner Opfer unterschlägt, wird auf eine Beschwerde hin schließlich durch den bischöflichen Kommissar Vitus Zyrrer aufgedeckt. Zu spät für die vielen Menschen, die bereits als Folge der Rechtsbeugung durch den Zentgrafen ihr Leben lassen mussten. Die Hexenverbrennung, die am Eulenturm vor der Vogtei als Videoprojektion zu sehen ist, geht unter die Haut – nicht zuletzt wegen des Geruchs von verbranntem Haar, der dabei durch die Straße weht.

Einen beklemmenden Eindruck, welche Verwerfungen der Streit um den rechten Glauben zwischen Nachbarn und innerhalb von Familien mit sich bringt, bekommen die Zuschauer in der Erlöserkirche. Missgunst und kleinlicher Hass haben inzwischen auch die Kinder ergriffen. Sollen die Anhänger des neuen Glaubens sich weiter den Anfeindungen aussetzen, wenn sie sonntags in eine der umliegenden Ortschaften gehen, um dort auf Deutsch den Gottesdienst zu feiern und zugleich Kelch und Brot zu empfangen? Schließlich zwingt ein Erlass des Fürstbischofs jeden zu einer klaren Entscheidung und zerstört damit zum Teil auch alte Freundschaften und Beziehungen.

Bis Sonntag, 28. Mai, sowie von Donnerstag, 1. Juni, bis Pfingstmontag, 5. Juni, gibt es weitere Aufführungen jeweils um 19.30 Uhr. Inklusive Pausen dauert das Stück etwa dreieinhalb Stunden. Der Eintritt beträgt pro Person 26 Euro. Am Sonntag, 4. Juni, findet zudem um 14.30 Uhr in der Stadthalle Gerolzhofen eine barrierefreie Vorführung statt. Schirmherr der Veranstaltung ist Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Nähere Informationen im Internet unter www.du-musst-dran-glauben.de.

mh (POW)

(2217/0574; E-Mail voraus)

Hinweis für Redaktionen: Fotos abrufbar im Internet