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Dokumentation

„Her mit der Geduld“

Ansprache von Bischof Dr. Franz Jung beim Neujahrsempfang der Stadt Würzburg am Sonntag, 12. Januar 2020, im Rathaus

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,

liebe Festgäste,

liebe Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt Würzburg,

herzlich danke ich Herrn Oberbürgermeister Schuchardt für die Einladung, die Ansprache zum Neujahrsempfang 2020 der Stadt Würzburg halten zu dürfen. Eine Ehre für den nicht mehr ganz so jungen Neubürger Franz Jung und zugleich ein Zeichen der Wertschätzung, beileibe keine Selbstverständlichkeit, was ich sehr zu würdigen weiß. Vielen Dank dafür.

„Schluss mit der Geduld!“

„Schluss mit der Geduld“, so lautet der Titel eines Buches, das im vergangenen Jahr binnen kurzer Zeit mehrere Auflagen erlebte. Der Autor Philipp Ruch[1] gab seinem Buch den Untertitel „Jeder kann etwas bewirken“. Mir erscheinen Titel wie Untertitel des Buches paradigmatisch für das, was wir im vergangenen Jahr erlebt haben.

Auf der einen Seite das verbreitete Gefühl, man könne jetzt nicht länger zuwarten. Die Zeit gehe einem aus. Auf der anderen Seite und damit einhergehend das wachsende Bewusstsein dafür, dass jeder etwas zu den anstehenden Veränderungen beitragen kann, wenn er sich denn nur aufrafft und für Veränderung eintritt.

Der Geduldsfaden reißt: Rechte Gewalt, Klimawandel, Kirchenkrise

„Schluss mit der Geduld“: Dieses Phänomen, dass der Geduldsfaden reißt und man nun endlich anpacken muss und Veränderungen im Bereich des Möglichen liegen, zeigte sich gleich in mehrfacher Hinsicht. Ich beschränke mich im Folgenden auf drei Aspekte:

  • Der Buchautor selbst bezieht sich auf das Erstarken rechter Tendenzen in der Gesellschaft. Er versteht sein Buch als flammendes Plädoyer dafür, diesen rechten Tendenzen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten und auf diese Weise die bedrohte Demokratie zu retten.
  • In ganz anderer Hinsicht haben wir Ähnliches erlebt mit den Demonstrationen für den Klimaschutz. In einer zuvor nicht bekannten Weise sind vor allem junge Menschen aufgestanden und haben mit großer Entschiedenheit für eine Veränderung der Klimapolitik demonstriert. Auch hier war und ist das Ende der Geduld der bestimmende Tenor. Und zugleich – und das ist etwas Neues – die Erkenntnis auch gerade junger Menschen, dass eben jeder etwas zur Veränderung beitragen kann, wenn er denn nur aufsteht, sich dieses Anliegen zu eigen macht und öffentlich dafür eintritt.
  • Nicht zuletzt ist ein Ende der Geduld auch in der Diskussion um die Erneuerung unserer Kirche zu spüren. Nach den Enthüllungen des Missbrauchsskandals und der Frage, wie die Kirche angemessen darauf reagieren soll, stellt sich wachsende Ungeduld ein. Protestbewegungen – wie vielleicht am bekanntesten in der Bewegung „Maria 2.0“ – treten lautstark und öffentlichkeitswirksam für Veränderungen ein, die gefühlt seit langem anstehen und jetzt endlich durch- und umgesetzt werden wollen.

Schluss mit der Geduld – ein gesellschaftliches Phänomen! Es geht einher mit spezifischen sprachlichen Wendungen, Gefühlen und Logiken, die im vergangenen Jahr immer wieder bemüht wurden, auch und besonders im Blick auf die drei eben genannten Problemfelder.

„Es ist fünf vor Zwölf“

Im Blick auf die sprachlichen Wendungen war immer wieder die Rede davon, es sei mittlerweile „fünf vor Zwölf“. Andere konstatierten weitergehend mit dem Bemühen um rhetorische Steigerung – zugleich aber auch mit einem gewissen resignativen Unterton –, eigentlich sei es ja schon „fünf nach Zwölf“. Wieder andere drängten zur sofortigen Umsetzung der geforderten Maßnahmen, da überhaupt keine Zeit mehr zu verlieren sei, sondern es schon längst Zwölf geschlagen habe.

Der Zorn

Das konstatierte Ende der Geduld geht auch einher mit einem besonderen Affekt.

Es ist der Zorn, der sich in Zornausbrüchen zeigte und in zornigen Reden äußerte:

  • Zorn als Ausdruck der Empörung über die bedrohlichen Missstände und darüber, dass man vieles hat viel zu lange schleifen lassen, ohne entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.
  • Zorn aber auch im Blick auf die Verantwortungsträger, die ihrer Verantwortung in Gesellschaft, Politik und Kirche viel zu lange nicht nachgekommen seien und auch jetzt viel zu langsam in die Gänge kämen.
  • Zorn schließlich über das Gefühl, noch immer nicht richtig wahr- und ernst genommen zu werden und noch zu wenig auf die relevanten Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse einwirken zu können.

Apokalyptische Logik

Ein letztes Phänomen möchte ich benennen, das mir auffiel. Das Ende der Geduld, der eklatante Zeitmangel und der Zorn führen zu einer Einteilung der Welt in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß, in Blockierer und Fortschrittliche, in Freunde und Feinde.

Diese Aufteilung der Welt in zwei einander widerstreitende Parteien am Ende der Zeit erinnert stark an apokalyptische Vorstellungen. Die Anleihen an apokalyptisches Vokabular scheinen jedenfalls nicht zufälliger Art zu sein. Mehr noch, mit der Anlehnung an das apokalyptische Vokabular scheint sich auch die – apokalyptischer Logik nicht unähnliche – Erwartung nahezulegen, dass es jetzt nur noch eines kurzen und harten Schnittes bedürfe, mit dem dann alle Probleme erledigt seien. Gedanklich ergänzt werden müsste noch, mit dem dann auch alle Blockierer, Feinde, die auf der schwarzen Seite und alle Bösen erledigt seien.

Um diese Einteilung der Welt in Gut und Böse, Schwarz und Weiß weiter zu befördern, gibt es das Phänomen des öffentlichen Blaming, in dem man die vermeintlich als Böse identifizierten Missetäter öffentlich vorführt, jede abweichende Meinung sofort zu diskreditieren versucht und Menschen an den Pranger stellt.

Bei dieser Beschreibung des Phänomens vom Ende der Geduld will ich es jetzt bewenden lassen.

Was für Folgerungen sind aus diesen Beobachtungen zu ziehen?

Positive Erfahrung von Selbstwirksamkeit

Als erstes die erfreuliche Feststellung, dass sich auch in unseren Tagen Menschen nicht einfach mit Missständen abfinden und sie als gegeben hinnehmen. Die Erfahrung, dass man mit entschiedenem Protest und dem überzeugten Einsatz für eine gute Sache etwas bewirken kann, die Erfahrung der Selbstwirksamkeit also, ist ein wichtiges Pfund in einem jeden Gemeinwesen. Menschen artikulieren sich und wollen Gesellschaft, Umwelt und Kirche aktiv mitgestalten.

Das gilt ausdrücklich auch für die beachtliche Anzahl junger Menschen, die sich entgegen früherer Generationen wieder vermehrt politisch artikulieren und auf ihre Anliegen lautstark aufmerksam machen. Die 18. Shell-Jugendstudie für das Jahr 2019 trägt nicht umsonst den bemerkenswerten Untertitel „Eine Generation meldet sich zu Wort“[2] und konstatiert einen signifikanten Wandel von der pragmatischen Generation junger Menschen, die seit der Jahrtausendwende mehr mit dem persönlichen Fortkommen beschäftigt war, hin zu einer neuen Generation junger Menschen, die sich in umfassender Weise um die gute Gestaltung der Zukunft sorgt.

Für unsere Stadt Würzburg war mit 168 Demonstrationen im vergangenen Jahr ein Höchststand im Vergleich auf die fünf Vorjahre erreicht, wie man der Main-Post entnehmen konnte[3].

Ein Ende also mit der viel beschworenen Politik- oder Demokratieverdrossenheit? Dieser Schluss wäre wohl etwas zu vorschnell.

Denn die Proteste richten sich eben auch gegen einen schwerfälligen Politikapparat und gegen langwierige Verhandlungen, die als Hinhalte- und Verzögerungs- oder Vertröstungstaktik wahrgenommen werden.

Und sie artikulieren sich bezeichnenderweise nicht in erster Linie parteipolitisch, sondern zunehmend außerhalb des gewohnten parlamentarischen Rahmens. Sie wollen die politischen und kirchlichen Verantwortungsträger vor sich hertreiben und machen gerade von außerhalb des normalen Systems Druck, damit die als notwendig erachteten Veränderungen eingeleitet werden, vielleicht auch, weil man dem System nicht mehr traut.

Das ist zum einen eine Anfrage an die Parteienlandschaft, die sich in einem rasanten Umbruch befindet. Zum anderen aber stellt sich die Frage, ob das insgesamt eine gute Entwicklung darstellt oder ob es nicht vielmehr ein Anliegen sein müsste, die Proteste über die demokratisch legitimierten und definierten Entscheidungswege zu artikulieren und in die Gesetzgebungsverfahren einzuspielen.

Komplexität wahrnehmen

Damit verbindet sich für mich eine zweite Wahrnehmung. So berechtigt die Anliegen sind und so wichtig der Protest ist, in dem sich der aufgestaute Unwillen Ausdruck verschafft, und so sehr der Wunsch nach schnellen und einfachen Lösungen nachvollziehbar ist – die Wirklichkeit stellt sich bei näherem Hinsehen unter vielfacher Hinsicht wesentlich komplexer dar, als es zunächst scheinen könnte.

Das gilt zum einen für das Aufkommen der „Alternative für Deutschland“ und die Herausforderung, wie auf die Anfragen, die sich in dieser Partei bündeln, angemessen reagiert werden könnte. Unbestritten muss jeder Verrohung in Sprache und Umgangsformen, muss jeder Fremdenfeindlichkeit und jeder populistischen Agitation mit Entschiedenheit Einhalt geboten und widersprochen werden. Aber auf Dauer wird das nicht genügen.

In ihrer lesenswerten Studie mit dem bezeichnenden Titel „Gesellschaft des Zorns“[4] zeigt Claudia Koppetsch, dass die Ängste weiter Gesellschaftsschichten, die hier gebündelt werden, zum einen sehr ernst zu nehmen sind.

Dass zum anderen aber die etablierten Parteien auf die Anfragen der derzeitigen Globalisierungsverlierer in einer sich zusehends fragmentierenden Mittelschicht noch keine wirklich überzeugende Antwort gefunden haben. Das lässt uns ahnen, dass uns dieses Phänomen wahrscheinlich noch länger beschäftigen wird, als uns lieb sein kann. Und dass uns die eigentlichen Herausforderungen gesellschaftlich und politisch überhaupt erst noch bevorstehen[5].

Das gilt aber auch für das höchst komplexe Thema der Klimaschutzpolitik. Jenseits der globalen Zusammenhänge und der Frage, inwieweit große Player wie beispielsweise die USA oder China ihren Verpflichtungen nachkommen oder eben auch nicht nachkommen, stellt sich bei uns die Frage, ob die angezielten Veränderungen tatsächlich in kurzer Zeit erreicht werden können. Jeder weiß, dass die Zeit drängt.

Des Weiteren fragt sich aber, inwieweit dies sozialverträglich geschehen kann. Und weiter: Wie das vor allem auch noch so bewerkstelligt werden kann, dass die Lasten nicht wieder auf andere Länder abgewälzt werden und andere den Preis dafür zu zahlen haben, dass wir unsere Klimaschutzziele durchsetzen können.

Jeder ahnt wohl, dass sich die ambitionierten Ziele, die sich die Weltgemeinschaft und die wir uns in Deutschland setzen, nur mit ganz viel Glück und noch mehr gutem Willen werden erreichen lassen, ohne hier Schwarzmalerei betreiben zu wollen.

Wenn Papst Franziskus unermüdlich darauf hinweist, dass neben dem ökologischen Bewusstsein eine ganz neue Form der Schöpfungsspiritualität gefordert ist, dann ist mit diesem Wort nur in Umrissen die große Herausforderung skizziert, vor der die Menschheit insgesamt steht und die anzugehen noch viel Überzeugungsarbeit kosten wird.

Was die Diskussion um die kirchliche Erneuerung anbelangt, zeigt sich ein nicht weniger komplexes Geflecht von Fragen und Herausforderungen.

Der Synodale Weg bietet die Chance, sich in den vier Foren über die identifizierten Themenfelder wie Frauenfrage, priesterliche Lebensform, Macht in der Kirche und Sexualmoral auseinanderzusetzen. Denn es geht um nichts Geringeres als die Authentizität der Kirche, die Übereinstimmung von Lehre, Leben und Zeugnis in der Welt von heute.

Dass es hierzu unterschiedliche Auffassungen gibt, war in den vergangenen Monaten nicht zu überhören. Der Synodale Weg wird sich darin bewähren müssen, dass unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen können und dürfen und dass man sich müht, die Diskussion sachlich zu führen und vor allem die innere Einheit soweit als möglich zu wahren. Eine spannende Aufgabe.

Auch hier wird man zur Geduld anhalten, da es am Ende zunächst um eine Meinungsbildung der Kirche in Deutschland geht. Noch ist offen, welche Entscheidungsspielräume einzelnen Ortskirchen eingeräumt werden und wie viel regionale Vielfalt die katholische Einheit verträgt und ob es verschiedene Geschwindigkeiten geben könnte auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche.

Und natürlich stellt sich die Frage, inwieweit die behandelten Themenfelder nochmals einer weltkirchlichen Diskussion und Klärung bedürfen. Auch das wird wiederum Zeit in Anspruch nehmen.

Geduld tut not

Mir geht es nicht darum, Problemlösungen durch Komplexitätssteigerung auszusitzen oder auf die lange Bank zu schieben. Mir ist wichtig darauf hinzuweisen, dass nicht Schluss sein muss mit der Geduld, sondern dass wir im Gegenteil noch sehr viel mehr Geduld werden aufbringen müssen, um nachhaltig und effizient die Herausforderungen anzugehen, vor die wir uns gestellt sehen.

Es ist immer „fünf vor Zwölf“

Insofern ist die Zeitansage „fünf vor Zwölf“ dehnbar – wie im übrigen auch ein Blick ins Internet lehrt. Wer hier einmal gezielt recherchiert, wird verwundert (oder auch schmunzelnd) feststellen, dass es in vielerlei Hinsicht seit über 40 Jahren „fünf vor Zwölf“ ist.

Gerade die apokalyptische Literatur kann uns hier weiterhelfen. Denn sie kennt das Phänomen der Dehnung der Zeit[6], die der Herr der Geschichte einräumt, um das Ende der Zeit noch einmal hinauszuzögern und so seinen Geschöpfen die überfällige Umkehr zu ermöglichen.

Es ist gewissermaßen immer „fünf vor Zwölf“, weil wir eben nie fertig werden mit unseren Hausaufgaben und es leider halt meistens doch nur unter Druck vorwärts geht. Das macht’s nicht unbedingt besser, aber vielleicht doch etwas erträglicher.

Nicht Zorn, sondern Langmut

Auch wenn der Affekt des Zorns berechtigter Ausdruck der Empörung über das Unrecht ist, hilft er auf Dauer nicht weiter. Die aufrüttelnden Bilder völlig erschöpfter junger Menschen, die sich komplett verausgabt hatten nach den Klimademonstrationen und die dem Burn-out nahekamen, zeigten das.

Nicht der derzeit von vielen Seiten bemühte „Thymos“[7], der „Zorn“[8], ist gefordert, sondern vielmehr die „Makrothymia“, was aus dem Griechischen übersetzt so viel bedeutet wie „Langmut“. Oder ganz wörtlich übersetzt „der lang anhaltende Zorn“ – eigentlich ein Widerspruch, der aber schön auf den Punkt bringt, worum es geht: nämlich die Energie zur Veränderung über einen längeren Zeitraum hin vorzuhalten und sie nicht punktuell zu verausgaben.

Nicht umsonst will der heilige Thomas den Affekt des Zorns im Zusammenhang mit der Tugend der Tapferkeit bedacht wissen[9]. Denn wenn auch der – wohlgemerkt gerechte Zorn – für den Kampf notwendig ist, am Ende benötigt der Tapfere Geduld und eben vor allem die Langmut, um sein Anliegen auch über längere Durststrecken hindurch zu verfolgen, ohne innerlich auszubrennen und zynisch zu werden. Vielleicht könnte man am ehesten von der Notwendigkeit „engagierter Gelassenheit“ sprechen. Das Paradox macht die erforderliche Spannung von Einsatz und zugleich innerer Gelöstheit deutlich, die ihre Kraft aus dem Glauben an Gott bezieht.

Der heilige Benedikt spricht im vorletzten Kapitel seiner Regel mit Bedacht vom erforderlichen „guten Eifer“ der Mönche, den er abgrenzt vom „bitteren oder bösen Eifer“[10]. Der gute Eifer führt zu Gott, weil er immer im Sinne der anderen mitdenkt. Der böse Eifer hingegen führt in die Hölle, wie Benedikt drastisch anmerkt, weil er zum einen den Eiferer selbst zerfrisst und zum anderen auf Dauer Gemeinschaft zerstört.

Nicht apokalyptischer Konflikt, sondern gemeinsames Ringen

In diesem Sinn hilft dann auch eine apokalyptische Zweiteilung der Welt in Gut und Böse nicht weiter. Abgesehen von der Tatsache, dass die Apokalypse das Gericht ausdrücklich immer dem Weltenrichter vorbehält und eindrücklich davor warnt, sich selbst die Rolle des Vollstreckers göttlicher Gerechtigkeit anzumaßen, sind die Herausforderungen so groß, dass sie nur in einer gemeinsamen Anstrengung werden bewältigt werden können:

  • Wir brauchen Zeit, um noch mehr Überzeugungsarbeit zu leisten und das Bewusstsein für die Herausforderungen zu schärfen. Druck ist gut. Aber er wird schon rein physikalisch zunächst eher Gegendruck und Widerstand erzeugen denn wirkliche Veränderung.
  • Wir brauchen Zeit, um einander zuzuhören und ernst zu nehmen, jenseits der politischen Lager und Interessen. Dabei gilt es auch, bestehende Spannungen wahrzunehmen und auszuhalten, ohne sofort den anderen mundtot zu machen oder ihn der Naivität, Dummheit oder Bösartigkeit zu zeihen.
  • Wir brauchen Zeit, um die Folgen gegenwärtigen Handelns und die Folgen möglicher künftiger Veränderung bis zu Ende zu denken und in alle Richtungen hin auszuloten.
  • Wir brauchen Zeit, weil nach der Weisheit der Alten „der langsam machen muss, der es eilig hat“. Denn sonst unterlaufen viele Fehler, die einen eher zurückwerfen und alles diskreditieren, anstatt einen vorwärts zu bringen.
  • Und wir brauchen Zeit zum Lachen. Denn der Humor gehört bei allen Veränderungen dazu. Nicht dass es Ihnen geht wie mir neulich. Als ich jemand dazu anhielt, doch mehr Geduld zu haben, und zur Antwort bekam, er habe keine Zeit für so’n Unsinn…

Zum Schluss die Gaben der drei Weisen: Frohsinn, Geduld, Beharrlichkeit

Der langen Rede kurzer Sinn:

Nicht „Schluss mit der Geduld“, sondern „Her mit der Geduld“.

Die beiden Anker in meinem Wappen rufen mir das immer wieder neu in Erinnerung. Der nach oben gekehrte Anker verweist darauf, im Himmel fest verankert zu sein, so dass der Geduldsfaden nicht reißt.

Der nach unten gerichtete Anker haftet am Boden, damit man nicht abhebt, sondern die Wirklichkeit in ihrer Komplexität und in ihrer mühevollen Zumutung täglich neu wahrnimmt.

In diesem Sinn ruft uns der Apostel Paulus im Römerbrief zu:

Seid fröhlich in der Hoffnung,

geduldig in der Bedrängnis,

beharrlich im Gebet.[11]

Das entspricht sehr schön den Gaben der drei Weisen[12], deren Gedächtnis wir zu Beginn der vergangenen Woche begangen haben:

  • Gold zum Zeichen für die unvergängliche Hoffnung auf Gott,
  • Myrrhe als Heilsalbe für den Heilungsprozess in den schmerzlichen Herausforderungen unserer Tage, die Geduld verlangen
  • und Weihrauch als Sinnbild für das Gebet und die Fürbitte füreinander.

Eines folgt aus dem anderen: Wo Hoffnung ist, da stellt sich auch Geduld ein. Und wo Geduld geübt wird, bittet man auch füreinander zum Gelingen des Ganzen.

Diesen schönen Dreiklang von Hoffnung, Geduld und beharrlichem Bitten wünsche ich uns allen für das neue Jahr, ja für den Beginn dieses neuen Jahrzehnts,

zusammen mit dem reichen Segen Gottes für unsere Stadt und alle ihre Bewohner.

Von Herzen ein glückseliges neues Jahr 2020!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!


[1] Ruch, Philipp: Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken. Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten, München 2019.

[2] Vgl. Shell-Deutschland Holding (Hrsg.): 18. Shell-Jugendstudie: Jugend 2019, Weinheim 2019.

[3] Vgl. Main-Post vom 25.10.2019 / aktualisiert 3.12.2019, Gisela Rauch: „Rekord: Dieses Jahr so viele Demonstrationen wie noch nie in Würzburg“.

[4] Koppetsch, Claudia: Die Gesellschaft des Zorns, Bielefeld 2019.

[5] Koppetsch, Claudia: Die Gesellschaft des Zorns, Bielefeld 2019, 35-64.

[6] Vgl. 2Thess 2,1-12 und 2Petr 3,9 und 15.

[7] Vgl. die verstörende Rede von der „thymotischen Unterversorgung“ Deutschlands rechter Kreise. FAZ vom 6.6.2019 mit der Kritik an Sloterdijk und Jongen von Jens Bisky: „Die Unterversorgten“.

[8] Vgl. Blössner, Norbert: Art. Thymos, in: HWPh X, 1187-1191, hier 1187.

[9] Vgl. Pieper, Josef: Das Viergespann, München 1964, 183-185.

[10] Vgl. RB 72,1-2: Wie es einen bitteren und bösen Eifer gibt, der von Gott trennt und zur Hölle führt, so gibt es den guten Eifer, der von den Sünden trennt, zu Gott und zum ewigen Leben führt.

[11] Vgl. Röm 12,12.

[12] Vgl. Mt 2,11.