in den Mittelpunkt. Warum das Geheimnis der Menschwerdung so zentral für die Spiritualität der Gemeinschaft ist und wieso sie Papst Franziskus sehr dankbar ist, erläutert Generaloberin Dr. Katharina Ganz im folgenden Interview.
POW: Schwester Katharina, der Name Ihrer Gemeinschaft lautet „Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu“. Wie viel Weihnachten steckt also in der alltäglichen Arbeit der Oberzeller Franziskanerinnen?
Generaloberin Schwester Dr. Katharina Ganz: In der Tat ist die Verehrung der Menschwerdung, der Glaube, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist, unser Leben geteilt hat, das zentrale Geheimnis, aus dem heraus wir versuchen, unser Ordensleben zu gestalten. Das wirkt letztlich auch hinein in unsere Arbeit, die sich überwiegend Frauen und Mädchen in benachteiligenden Lebenssituationen widmet. Ich selber staune immer wieder darüber, wenn ich in den Einrichtungen bei adventlichen Feiern zu Gast bin, wie gut es unseren Mitarbeiterinnen gelingt, diese Spiritualität in Verbindung zu bringen mit der ganz konkreten Sozialarbeit. Vergangenes Jahr wurde zum Beispiel prozesshaft eine Krippe gestaltet – der Weg zur Krippe entstand aus Scherben, die bildhaft für das stehen, was im eigenen Leben zu Bruch gegangen ist. In die Krippe hinein haben die Wohngruppen dann jeweils Egli-Figuren gestellt. Jede trug etwas bei. Dann ging langsam der Stern auf, die Weihnachtsgeschichte wurde in Abschnitten gelesen. Anschließend gab es wieder ein Element des Austauschs: Wo habe ich in meinem Leben einen Engel erfahren? Wo ist mir ein neues Licht aufgegangen? Und am Ende, das finde ich sehr schön, hat eine Bewohnerin der Wohngruppe, die auch töpfert, allen eine Schale geschenkt aus Scherben, die wieder zusammengesetzt waren. Im Japanischen gibt es eine Kunst, die sich genau damit beschäftigt und bei der die Bruchstellen vergoldet werden. Das war das Symbol dafür: Auch bei uns Menschen ist vieles zu Bruch gegangen. Aber wir glauben daran, dass wir eine unzerstörbare Würde haben, dass Gott aus den Bruchstücken unseres Lebens wieder etwas Ganzes machen kann, das am Ende vielleicht sogar noch schöner ist als zuvor. Das hat mich sehr berührt.
POW: Die Krippe hat in Ihrer Gemeinschaft das gesamte Jahr über eine besondere Bedeutung.
Ganz: Wir Schwestern haben die Tradition seit unserer Gründung durch Antonia Werr im 19. Jahrhundert an jedem 25. des Monats die Krippe aufzustellen. Das ist natürlich nur ein äußeres Symbol. Es geht uns nicht um verkitschte Weihnachtsnostalgie, sondern darum, uns die Metapher vor Augen zu führen, dass Gott Mensch geworden ist. Dadurch ist uns immer wieder die Offenheit geschenkt, im Gegenüber Gottes Sohn oder Tochter zu erkennen und den Menschen mit Würde, Wertschätzung und Respekt zu begegnen.
POW: Der Einsatz für Menschen am Rande der Gesellschaft findet aber nicht immer den allgemeinen Beifall. Welche Erfahrungen hat Ihre Gemeinschaft gemacht?
Ganz: Unsere Frauenarbeit war von Anfang an letztlich eine Tätigkeit, die nicht für alle in Frage kam. Antonia Werr musste sich immer wieder von der Würzburger Bevölkerung fragen lassen, warum sie sich mit „denen da“ einlässt und unter einem Dach lebt – mit strafentlassenen Frauen, mit Prostituierten, mit Landstreicherinnen und verarmten Frauen. Ihre Sozialarbeit ging für sie nicht mit einem höheren gesellschaftlichen Ansehen einher. In einem ihrer Briefe schreibt sie sinngemäß: „Die Würzburger raten mir, lieber etwas für verwahrloste Kinder zu tun oder mich in der Krankenpflege zu engagieren. Aber meine Hauptidee war es, mich um die Menschen zu kümmern, die schon das tiefe Elend des Lebens kennengelernt haben und keinen anderen Ausweg mehr sehen als den Tod, der ihrem Elend ein Ende macht und sie hinwegnimmt aus der menschlichen Gesellschaft, die sie ohnehin schon wegen ihrer Verbrechen ausgestoßen hat.“ Ich finde, das ist eine sehr treffende Bemerkung. Die Leute sind schon am Rand und von der Gesellschaft ausgestoßen. Sie haben keine Hoffnung mehr. Da sagt Antonia Werr: Wo scheinbar nichts mehr zu retten ist, da braucht es eine rettende Hand. Sie vergleicht es mit Schiffbrüchigen, die im Strom des Lebens unterzugehen drohen. Ganz ähnlich ist es heute ja auf dem Mittelmeer: Auch dort finden wir Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben und sich den Gefahren aussetzen im Bewusstsein: Es macht keinen Unterschied, ob ich jetzt untergehe und alles verliere oder weiter ein Leben im Elend führe wie bisher.
POW: Setzt Ihre Gemeinschaft letztlich nicht damit schon seit mehr als 100 Jahren das um, was Papst Franziskus als das „Hinausgehen an die Ränder“ und Evangelisierung durch soziales Engagement bezeichnet?
Ganz: Mich haben die Zeichen, die der Papst gleich zu Beginn seines Pontifikats gesetzt hat, zutiefst berührt. Die Namenswahl hat sich mir gleich programmatisch erschlossen. Dann ist er nach Lampedusa gereist und hat auf dem Meer einen Kranz abgelegt, auf dem größten Massengrab Europas. Ich habe den Eindruck, dass der Papst für das ganze Christentum, nicht allein die katholische Kirche, die Wunden der Zeit benennt. Zum Beispiel, dass unser kapitalistisches System viele Opfer hervorbringt und viele Tode verursacht. Da ist der Papst eine prophetische Stimme, die ihresgleichen sucht. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er diese Deutlichkeit beibehält, trotz vieler Anfeindungen von allen möglichen Seiten.
POW: Stichwort Deutlichkeit: Sie selbst waren auch unmissverständlich, als Sie bei einer Tagung von Ordensfrauen in Rom aufgestanden sind und sich an den Papst gewandt haben. Was genau war Ihre Forderung?
Ganz: Ich habe den Papst gebeten, die Frauenfrage – und das meine ich weit und keineswegs enggeführt auf die Frage der Weihe von Frauen zu Diakoninnen oder sogar Priesterinnen – zu bedenken. Und zwar nicht nur auf dem Hintergrund von Geschichte, Tradition und Lehre. Das alles ist wichtig. Genauso wichtig ist es, von der Pastoraltheologie her zu schauen, was heute, im 21. Jahrhundert, in unseren Gesellschaften wichtig und nötig ist. Ich freue mich daher auch, dass bei der Amazonassynode Bischof Bernardo Bahlmann, der Bischof des Würzburger Partnerbistums Óbidos, ein Franziskaner, deutlich gemacht hat, dass seines Erachtens auf dieser Synode zu wenige Frauen präsent waren. Es waren zwar einige Ordensfrauen eingeladen, aber ohne Stimmrecht, im Vergleich zu einigen Ordensmännern und auch Laien, die Gemeinschaften vertreten, mit Stimmrecht. Daran wird deutlich, dass es in der Kirche strukturell eine Diskriminierung von Frauen gibt und Frauen bei weitem nicht in dem Maß geachtet und wertgeschätzt werden, wie sie sich de facto auf der ganzen Welt an der Basis einbringen – in der Verkündigung, im Dienst an den Armen, im Geben von Zeugnis und in der Versammlung der Kirche.
POW: Ein häufiges Argument ist in diesem Kontext: Hätte Jesus Ämter für die Frauen gewünscht, hätte er auch Frauen in den Kreis der Apostel berufen.
Ganz: Man könnte genauso argumentieren, dass die ersten Auferstehungszeuginnen ausschließlich Frauen waren. Diese wiederum wurden zu den Aposteln gesandt, um die Botschaft von der Auferstehung weiterzutragen. Was wären die Apostel ohne das Osterzeugnis der Frauen gewesen? Aus biblischer Sicht sind Apostel Frauen und Männer, die eine österliche Erfahrung mit dem Auferstandenen gemacht haben. Der berühmte Würzburger Exeget Rudolf Schnackenburg hat schon in den 1960er Jahren nachgewiesen, dass das Argument mit der ausschließlichen Männlichkeit der zwölf Apostel nicht haltbar ist, wenn wir heute darüber sprechen, ob Frauen geweiht werden könnten oder nicht. Alle anderen Attribute, die diese Zwölf als Symbol für die zwölf Stämme Israels ausgezeichnet haben, sind im Lauf der Kirchengeschichte weggefallen: Sie waren Fischer, Juden, verheiratet und hatten Kinder. Einzig und allein am Mannsein hält man fest. Das ist heute aus Sicht der wissenschaftlichen Theologie fragwürdig. Schauen wir auf die Entstehung der Ämter. Jesus hat keine Priester oder Diakone geweiht. Er hat das Reich Gottes verkündet und Menschen in seine Nachfolge gerufen. Die Ämtertrias Diakon, Priester, Bischof ist ein historisch gewachsenes Phänomen, das man an der sogenannten apostolischen Sukzession festmacht. Die Männlichkeit der Geweihten als Willen Jesu Christi ein für alle Mal festzuschreiben, sollte nicht geschehen, ohne die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Theologie aus den vergangenen fünf Jahrzehnten zu rezipieren. Die Ämtertheologie weiterzuentwickeln halte ich für höchst wichtig und spannend. Und man muss doch auch fragen dürfen, ob es überhaupt möglich ist, den Willen Gottes in einer bestimmten Sache für alle ewigen Zeiten feststellen zu können. Auch die Lebenswirklichkeit der Menschen hat sich durch alle Zeiten hindurch auf das kirchliche Lehramt ausgewirkt, weil sich unser Verständnis der Offenbarung Jesu in Schrift und Tradition verändert. Deshalb kann sich auch die Lehre weiterentwickeln.
POW: In Zusammenhang mit der Ämterfrage und dem Priestermangel ist auch oft die Rede vom Gläubigenmangel. Liegt vielleicht beides auch daran, dass sich die Kirche zu sehr mit sich selbst und ihren Strukturen beschäftigt und zu wenig mit der Frage, wie Christentum glaubwürdig gelebt wird, zum Beispiel durch soziales Engagement?
Ganz: Man darf das eine vom anderen nicht trennen. Das wäre ein Fehler. Es wird versucht, Evangelisierung auszuspielen gegen die Stimmen, die sagen, wir müssen auch die Strukturen der Kirche reformieren. Da wird spalterisch etwas auseinanderdividiert, was zusammengehört und im Zweiten Vatikanischen Konzil ganz eng zusammengedacht worden ist. Das Evangelium zu leben hat immer eine Außenperspektive wie eine Rückwirkung auf die Kirche selbst. Zu fragen ist doch: Wie müssen unsere Strukturen, Ämter und Dienste aufgebaut sein, damit wir glaubwürdig Zeugnis geben können von dem, was Jesus Christus gesagt und getan hat? Was die Kirche sein will, Instrument und Werkzeug des Heils, muss sich ausfalten, indem sie sich konfrontiert mit den Lebenswirklichkeiten der Menschen von heute. Nur in dieser Polarität von innen und außen kann die Kirche lebendig sein.
POW: Wie kann es gerade in diesem zuletzt angesprochenen Blick gelingen, Weihnachten als wirklich christliches Fest neu und vielleicht anders zu entdecken?
Ganz: Wir brauchen offene Augen und offene Ohren: Wo sind Menschen in Not, nackt, bedürftig, leidend, hungrig, einerseits auf dieser ganz basalen Ebene, und sollten schauen: Welchen Beitrag kann ich leisten, diese Not zu lindern? Auf der anderen Ebene: Wo brauchen Menschen Orientierung, Rat, Trost, ein aufmunterndes Wort, ein Lächeln? Es gibt jeden Tag hunderttausend Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass es ein bisschen menschlicher, freundlicher, liebevoller, hoffnungsfroher unter uns zugeht. Wo wir das tun, verkünden wir, ob wir den Namen Gottes oder Jesu aussprechen oder nicht, die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes.
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Schwester Dr. Katharina Ganz (48) ist seit 2013 Generaloberin der Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu (Oberzeller Franziskanerinnen). 2016 promovierte sie mit einer pastoraltheologischen Arbeit über Antonia Werr, die Gründerin der Kongregation. Ganz setzt sich aktiv für die Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche und für die Zulassung von Frauen zum Weiheamt ein.
Interview: Markus Hauck (POW)
(5119/1363; E-Mail voraus)
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